Drei Braunschweiger Dragqueens: Eine schrille Welt für sich (2024)

Braunschweig. Perücke, Make-Up und ganz viel Show: Flexi Twixx, Tiffany D. Sin und Silver D. Sin lieben Glamour und die eigene Verwandlung.

Die Perücke sitzt, die Stimme ist geölt und das schillernde Outfit stimmt auch – jetzt kann für den großen Auftritt im Shamrock, einer Karaoke-Bar, nichts mehr schiefgehen. Performt wird zu Klassikern der 80er und 90er Jahre sowie zu brandneuen Songs. Schnelle Tanzschritte, vulgäre Witze und Playback runden das Programm ab. Rund 100 Menschen feierten ausgelassen.

„Dragqueens“, also Personen, die in künstlerischer Absicht in eine Frauenrolle schlüpfen, sind vielen heute ein Begriff. Spätestens durch die Hamburger Dragqueen Olivia Jones hat die Kunstform deutschlandweite Aufmerksamkeit erlangt. Zwischen dem bunten und vielfältigen Berlin und Braunschweig liegen Welten, aber auch hier scheint sich eine schrille und kunterbunte Szene zu entwickeln.

Vom Bürostuhl ab auf die größten Bühnen

Nach 18 Uhr heißen sie Flexxi Twixx, Tiffany D. Sin und Silver D. Sin. Tagsüber kommen die Künstlernamen wieder mit den Kleidern in den Schrank. Dann werden aus den Dragqueens Felix Appiah, Nicholas Brosch und Anthony Sabatino. Die drei Männer aus Braunschweig lieben Glitzer, Glamour und große Perücken.

Berufliche und private Leidenschaft gehen bei Nicholas, alias Tiffany D. Sin, stark auseinander. Nach seiner Ausbildung ist Nicholas Brosch als Stationssekretär im Herzogin-Elisabeth Hospital aufgestiegen. „Ich erbringe Dienst am Kunden, sei es für den Patienten oder für den Gast meiner Drag-Show, da gibt es manchmal keinen Unterschied“, sagt der 26-Jährige scherzhaft. „Ich möchte, dass Leute sich wohlfühlen, und ich möchte sie unterhalten“, stellt der gebürtige Braunschweiger fest.

Flexi Twixx, bürgerlich Felix Appiah, hat im Oktober ein Sabbatical eingelegt und möchte sich beruflich neuorientieren. Der gebürtige Wolfsburger und gelernte Unternehmensberater möchte in der Zwischenzeit sein Geld mit Drag und Musik verdienen. „Ich möchte mehr mit Menschen arbeiten und mich stärker auf meine private Leidenschaft, den Drag, fokussieren“, so der 36-Jährige.

Hinter der Kunstfigur Silver D. Sin steckt Anthony Sabatino. Der Jüngste teilt die Leidenschaft der Verwandlung mit den anderen beiden. „Ich mache Drag vor allem als Ausgleich zu meinem Job, und die queere Community gibt mir so viel Kraft.“

Einflüsse aus Amerika und Australien sorgen für eigene Motivation

Felix Appiah hat 2014 das erste Mal Kontakt zu der Kunstform gehabt und seitdem reißt die Faszination und Leidenschaft nicht ab. „Als ich 2014 in Australien war, habe ich die Casting-Show RuPauls Drag Race gesehen und mich als Zuschauer sofort verliebt“, erinnert sich der 36-Jährige. Erste eigene Ideen und die Erschaffung der eigenen Kunstfigur kamen aber erst im Jahr 2018. Auf einer Halloweenparty habe er sich das erste Mal geschminkt und sei als Dragqueen aufgetreten. Daraufhin wurden Karaoke-Partys im Onkel Emma, einem Treff für queere Personen, angeboten, wo er auch Nicholas Brosch kennenlernte.

Durch diese freundschaftliche Vernetzung seien weitere Veranstaltungen entstanden. „Mittlerweile spiele ich deutschlandweit auf Veranstaltungen, und es ist schön zu sehen, dass die Leute diese schrille Welt abfeiern“, resümiert er. Bei Nicholas verlief der Weg in die Kunstform nahezu identisch. 2020 habe er bei einem Drag-Wettbewerb in Frankfurt den dritten Platz belegt. Anthony habe besonders durch den Kontakt zu den beiden und der Vernetzung auf sozialen Medien den Mut gefasst, seinen Traum zu verwirklichen. „Drag ist wie ein Schutzpanzer, wenn es einem schlecht geht. Ich habe mir einen Superheldencharakter entwickelt und schlüpfe in eine andere Persönlichkeit.“

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Drag ist wie ein Schutzpanzer, wenn es einem schlecht geht. Ich habe mir einen Superheldencharakter entwickelt und schlüpfe in eine andere Persönlichkeit.

Anthony D. Sin, Dragqueen, über die Motivation zur eigenen Verwandlung.

Drei Braunschweiger Dragqueens: Eine schrille Welt für sich (1)

Braunschweiger Drags haben deutschlandweit Auftritte

Neben Veranstaltungen in Braunschweig, wie etwa bei Karaoke-Abenden oder Auftritten beim Christopher Street Day, werden die Drags auch regelmäßig in Clubs in Oppenheim, Düsseldorf, Hannover oder Bremen gebucht, um die deutsche Drag-Gemeinschaft zu unterstützen und für Stimmung zu sorgen. Die Outfits und aufwendigen Kostüme gestalten die Männer überwiegend selbst. Über 5000 Euro pro Person haben sie in die Ausgestaltung ihrer Leidenschaft bisher investiert. Bis zum fertigen, glamourösen Aussehen können bis zu vier Stunden vergehen.

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Dragqueens wünschen sich mehr Toleranz

Felix Appiah, der offen schwul lebt, und Nicholas, der sich als bisexuell identifiziert, berichten immer wieder von Beleidigungen, Blicken und Pöbeleien. „Ich gehe in Drag alleine nicht mehr auf die Straße, weil ich unschöne Erfahrungen gemacht habe“, so der 36-Jährige. Ähnlich geht es auch Nicholas Brosch. Er sei beleidigt, bespuckt und häufig angegafft worden. Besonders für Trans-Personen seien es gerade schwierige Zeiten. „Ich kann jederzeit meine Perücke abnehmen und mich abschminken, für Trans-Menschen sind tägliche Diskriminierungen Alltag“, stellen die beiden schockiert fest. Und auch Anti-Trans-Bewegungen wie in den USA sehen sie durchweg kritisch und als gefährlich an.

Neben allen negativen Erfahrungen überwiegen für die Solo-Künstler aber die positiven Aspekte. „Drag zu machen, kostet Geld, Zeit, aber ich liebe den Applaus und die Anerkennung“, zieht Brosch als Fazit. „Flexi ist meine Rüstung, ich bin selbstbewusster und mutiger, ich schlüpfe in eine Rolle und entfliehe dem grauen Alltag“, so Appiah. Mit ihren Shows möchten sie aber hauptsächlich das Publikum unterhalten. Aufklärung und Kommentare zur derzeitigen Gesellschaft sollen aber auch nicht zu kurz kommen. Sowohl in der Freundschaft als auch auf der Bühne – Drag scheint zu verbinden, zumindest bei den drei Dragqueens aus Braunschweig.

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